Historisches

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Unter dieser Rubrik soll in loser Folge über interessante, kuriose und spannende Ereignisse aus der langen Geschichte unseres Schützenkorps berichtet werden.

Die folgende Geschichte wurde von Pastor Rasch, der von 1898 bis 1908 an der Nikolay-Kirche wirkte, in seinen Erinnerungen an seine Gifhorner Zeit verfasst. Sie zeigt, wie in früheren Zeiten die Sicht auf unser Schützenwesen und das Schützenfest war. Viel Vergnügen beim Lesen. (KDO)

Und nun gilt es einem Hauptereignis, dem Hauptereignis des ganzen Jahres, dem Gifhorner Schützenfest!  Es fand immer im Juni satt und sollte in Frack und Zylinder, Galanteriedegen an der Seite, die feierliche Einholung des alten Schützenkönigs und der Marsch durch die Stadt. Ich erinnere mich noch, wie wir das erste Mal, als wir noch völlig ahnungslos waren, an einem solchen Donnerstagmorgen in unserer Nähe plötzlich das „Heil dir im Siegerkranz“ hörten und dann erfuhren, dass unser Nachbar, der Schlachtermeister Prilop, als alter Schützenkönig beim Heraustreten aus seinem Hause damit, wie üblich, begrüßt worden war. Das eigentliche „Schützenkorps“, was so die besseren Bürger waren, war ganz militärisch geordnet mit Offizieren vom Major abwärts, Unteroffizieren und Gemeinen. Unser Nachbar Teipel, ein alter Tischlermeister, bekleidete den Rang eines Unteroffiziers, und als ich ihn mal fragte, weshalb er denn noch nicht aufgerückt wäre, antwortete er verdrießlich hoffnungslos: „Es stirbt ja keiner!“

Auch einen Stabsarzt wies das Schützenkorps auf mit einer richtigen Stabsarztuniform, Degen und Achselklappen mit Aesculapstab, das war der Dr. Franke, wie er allgemein hieß, der durch eine unbegreifliche Ungerechtigkeit des Schicksals im Barbierberuf hängen geblieben, eigentlich aber zu Höherem berufen und deshalb nebenbei auch als Zahnkünstler tätig war; er behandelte als solcher auch mal einen schadhaften Zahn meiner Frau und quälte sie erheblich, bis er sie eines Tages mal wieder vorhatte und ihr gewichtig erklärte: „Ich habe mich inzwischen mit der einschlägigen Literatur beschäftigt und festgestellt, dass an dem Zahn nichts mehr zu bessern ist, wir werden also wohl zur Extraction schreiten müssen“, oder wie er sich ein andermal so schön ausdrückte: „Machen sie ein Dekokt von Kamillen und nehmen Sie von Zeit zu Zeit ein Mundbad!“ Das war Herr Dr. Franke! Die Erinnerungen an Waterloo sonst war übrigens nichts vorhanden, was Napoleon hätte erschrecken können – habe ich schon erwähnt. Auf dem Marsch durch die mit Fahnen geschmückte Stadt folgte den Tag hindurch das Königsschießen, währenddessen die Stadtkapelle draußen auf dem Schützenplatz unter grünen Bäumen konzertierte. Beim Königsschießen kam es vor allem darauf an, mit einiger künstlichen Nachhülfe den richtigen zahlungsfähigen Schützenkönig herauszubringen. Wenn das gelungen war, ging es im abendlichen Fackelzug – man konnte ihn auch Wackelzug nennen, – der neue Schützenkönig in der Mitte, durch die illuminierte Stadt. Dann zog alles in den Ratskeller, und dort ging es die ganze Nacht hindurch hoch her mit manchem begeisterten Hoch auf die neue Majestät und andern Festreden und Trinksprüchen. Am Freitagmorgen hatte der neue Schützenkönig für die Schützen und andere besonders Geladene ein großes Frühstück zu geben. Dazu bin ich auch mal geladen worden und der Einladung gern gefolgt; im Übrigen habe ich mich von dem ganzen Rummel ziemlich fern gehalten, was natürlich übel vermerkt wurde und auch wohl nicht das Richtige war. Der Sonnabend war allgemeine Ruhepause, die aber auch durch Hausständchen der Stadtkapelle ein wenig belebt wurde. Am Sonntag war Nachfeier und an einem der folgenden Sonntage eine unwiderrufliche Nachfeier, der. sog. „lustige Sonntag“.

So ging das Fest Jahr für Jahr vor sich, aber gerade in dieser alljährlichen Wiederholung und den alt überlieferten festen Formen lag für den echten Gifhorner der große Reiz. Und wenn man mal von den nun einmal für unvermeidlich oder unentbehrlich gehaltenen alkoholischen Ausschreitungen absah, konnte man an einer solchen fröhlichen, freundschaftlichen Äußerung einer alle Kreise umfassenden bürgerlichen Gemeinschaft wohl seine Freude haben.